Eine subjektive, unvollständige (weil von Natur aus faul) und einseitige Auswahl an Büchern, die ich spannend oder berührend oder informativ oder was weiß ich finde.... Sie bekommen sie übrigens bei Österreichs bester Buchhandlung, "Heyn" in Klagenfurt (www.heyn.at)

Umberto ECO, Das Foucaultsche Pendel (Hanser, 1989)
Es gibt Bücher, die einen ein Leben lang begleiten, die man immer wieder einmal zur Hand nimmt, die zu lesen mehr ist als ein genussvoller Zeitvertreib. Umberto Ecos "Das Foucaultsche Pendel" ist solch eines für mich. Der zweite Roman des so unglaublich gebildeten "professore" nach seinem Überwerk "Der Name der Rose" hat mittlerweile 35 Jahre zwischen den Buchdeckeln- und dennoch ist das Buch so aktuell wie eh und jäh.
Die "Rahmenhandlung" ist schnell erzählt - drei Mailänder Verlagslektoren, gelangweilt durch die Manuskripte, die verschwobene Autor:innen bei ihnen abgeben, beginnen aus intellektuellem Jux heraus die Geschichte der Welt neu zu schreiben, also eine Sammlung "alternativer Fakten" zu erstellen und entwickeln so ein groß angelegte Weltverschwörung. Das Problem ist nur, dass das Spiel sie einholt und sie ernst genommen werden.
Ecos "Pendel" ist ein überbordenden Stück Literatur- es handelt auf mehreren Zeitebenen, in mehreren Regionen der Welt. Der Leser/die Leserin begegnet esoterischen Weisheitslehren und den Templern, Geheimbünden und Verschwörern, (Halb-)Wahrheiten und Radikalen. Das Spiel, das Eco dabei mit seinen Leser:innen treibt, ist genial - da beschreibt er zum Beispiel auf mehreren Seiten die perfekten Verhältnisse der Pyramiden in Bezug auf kosmische Distanzen und mathematischen Proportionen - nur um ein paar Seiten später die gleichen Berechnungen mit einem italienischen Standard-Zeitungskiosk zu machen.
Eine ominöse chiffrierte Notiz aus der Zeit der Templer wird von ihm gleich logisch und eloquent als mittelalterliche Einkaufsliste eines Händlers dechiffriert. In den späten 80ern geschrieben nimmt Eco Phänomene und zeitgeistige Einstellungen vorweg, die (noch) im 21. Jahrhundert latent vorhanden (oder gar größer geworden) sind: Esoterik und Okkultismus, Weltverschwörungstheorien (die Protokoll der Weisen von Zion tauchen ebenso auf wie die Freimaurer, Rosenkreuzer und ähnliche Gruppierungen), alternative Fakten und der verzweifelte Versuch, hinter allem und jedem einen "Plan" zu finden. Die Protagonisten werden von den Geistern, die sie riefen, eingeholt werden - die Leser:innen haben das Vergnügen und den Genuss, von dem leider 2016 verstorbenen "Wortmagier" Eco die Welt, gleich auf mehrere Arten, erklärt zu bekommen. Resumee: Was für ein Buch! Oder, wie der große Historiker Jacques leGoff über den Roman gemeint haben soll: "Jeder Leser findet hier seine Droge". Selten war Sucht so genussvoll.
Philipp BLOM, Der taumelnde Kontinent; Europa 1900 - 1914 (dtv, 2011)
Neid ist ja eine Todsünde, doch im Falle von Philipp Blom ist diese wohl lässlich und zumindest nachvollziehbar. Als der liebe Gott so zwecks Vergabe von Fähigkeiten und Talenten in die Runde gefragt hat, muss der gute Mann anscheinend öfters aufgezeigt haben: erstens hat er eine unglaubliche Radiostimme, wie Hörer:innen von "Punkt eins" auf Ö1 wissen werden, wo er immer wieder einmal moderiert. Zweitens ist der Mann erschreckend gescheit (studierter Historiker, Philosoph und Judäist), wie er auf Ö1 und/oder bei seinen Auftritten bei Talkshows immer wieder unter Beweis stellt; und drittens kann er auch noch unverschämt gut schreiben - sowohl Feuilleton ( er schreibt u.a. für The Guardian, F.T., FAZ, NZZ, Standard) als auch Sachbuch (muss ich nun auch noch zahlreiche Literaturpreise, die er hat, erwähnen oder ist das Gefühl des Neides mittlerweile nachvollziehbar?).

Damit ist indirekt auch schon alles über sein "altes", aber so was von lesenswertes Buch "Der taumelnde Kontinent" gesagt. Blom nimmt die Lesenden mit auf eine Reise durch das Europa der Jahre 1900 (eigentlich 1899) bis 1914 - und das macht er nicht mit dem Wissen der Distanz, nein, er versucht aus der Position der damaligen Gegenwart heraus zu schreiben, sprich er deutet nicht mit und durch die Erfahrung des Historikers sondern denkt sich in die Zeitgenoss:innen hinein. Und dann legt er los - über die Kunst der Zeit, die technischen Errungenschaften und Neuerungen, über die soziale und politische Lage, er schreibt mit Hilfe von exemplarischen (biografischen) Beispielen aus verschiedenen Milieus und von verschiedenen Schauplätzen. Man folgt ihm atemlos und erkennt - trotz oder wegen der Distanz - viele Parallelen zur Gegenwart. Und da ich eingangs schon erwähnt habe, wie unverschämt gut der Mann schreiben kann, ist das Ganze aber so was von ergötzlich-lehrreich. Ein unglaublich gutes Buch.

Timothy SNYDER, Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin (C.H.Beck, 2024)
Manchmal können Bücher unerträglich sein - und gerade deshalb so wichtig. Timothy Snyders Bloodlands ist ein solches. Der amerikanische Historiker, der auch in Wien lehrt, veröffentlicht in diesen Tagen sein neuestes Werk "Über Freiheit" - wird wahrscheinlich auch ein Pflichtbuch werden. Bloodlands ist ein solches. Snyder beschreibt in seinem Buch das Grauen, dass sich während der Jahre 1933 - 1945, als Hitler und Stalin gleichzeitig an der Macht waren, im Raum zentrales Osteuropa (Polen, Westrussland, Ukraine, Weissrussland, baltische Staaten) ereignet hat: "Während der Konsolidierung von Nationalsozialismus und Stalinismus (1933-1938), der deutsch-sowjetischen Besatzung Polens (1939-1941) und des deutsch-sowjetischen Kriegs (1941-1945) erlebte diese Region Massengewalt in einem historisch beispiellosen Ausmaß. Die Opfer waren vor allem Juden, Weissrussen, Ukrainer, Polen, Russen und Balten, die Bewohner dieser Länder. Die vierzehn Millionen Opfer wurden in nur zwölf Jahren ermordet (...). (...) sie (waren) alle Opfer einer mörderischen Politik, keine Kriegsopfer. Der Zweite Weltkrieg war der mörderischste Krieg der Geschichte, und etwa die Hälfte aller gefallenen Soldaten dieses Weltkriegs starben in der selben Region, den Bloodlands. Unter den vierzehn Millionen Opfern war aber kein einziger aktiver Soldat. Die meisten waren Frauen, Kinder und Alte, allesamt unbewaffnet" (S. 10). Synder rekonstruiert das erbarmungslose Schicksal jener Menschen, beschreibt chronologisch das Sterben durch den erzwungenen Hunger unter Stalin und seinen Säuberungswellen hin zu den improvisierten Erschießungen und Massakern durch die Deutschen hinein in die Todes- und Konzentrationslager mit ihrer Infrastruktur des Mordens.
Die Berichte und Schilderungen sind unerträglich zu lesen - ich musste das Buch mehrfach weglegen, weil es einfach nicht mehr ging. Gleichzeitig wuchs beim Lesen und auch jetzt beim Schreiben der Zorn, wenn in der öffentlichen Diskussion verharmlosend über die Zeit gesprochen wird, wenn mit Begriffen/Symbolen der NS-Zeit kokettiert wird um politisches Kleingeld zu wechseln, wenn sich "Systemgegner" (weil zB impfunwillig) mit den Opfern der Bloodlands gleichsetzen usw.
Timothy Snyders "Bloodlands" ist ein unerträgliches Buch... es müsste viel mehr von solchen geben.
Volker REINHARDT, Die Macht der Schönheit; Kulturgeschichte Italiens (C.H. Beck, 2022)
Für einen alten Italienfan ohnehin ein Muss, aber nicht nur für einen solchen. Volker Reinhardt ist Professor für die Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg und einer der profiliertesten Historiker zum Thema Italien. Mit seinem Mammutwerk legt er eine (Kultur-)Geschichte dieses so gesegnet wirkenden Landes vor und spürt den Quellen und Einflüssen nach, die Italien - oder besser die Italita- genährt und geprägt haben. Das antike Erbe, die Byzantiner, die Araber im Süden der Halbinsel, französische Könige, spanische und deutsche Kaiser waren nur einige der externen Einflüsse, die - gepaart mit der unglaublich vielfältigen Unterschiedlichkeit der Apennin-Halbinsel- schlussendlich Italien geformt haben. Städte und Fürsten, Päpste und Kaiser lieferten sich Wettkämpfe in der Frage nach Kultur und Kunst und wurden so zu Mäzenen einige der größten Künstler:innen der europäischen Geschichte. All jenen begegnet man in Reinhardts Buch, das absolut elegant geschrieben ist. Die edle Aufmachung tun ihr übrigens - ein wunderbares Buch für alle Italophilen und jene, die es werden möchten.


Neal STEPHENSON, Termination shock (Goldmann, 2023)
Terraforming oder die Hoffnung auf die Wunderwaffe
Neal Stephenson ist einer der umtriebigsten amerikanischen Gegenwartsautoren - was Output und Themenvielfalt betritt. Angefangen als Vertreter des so genannten "Cyber-Punk" hat er Kultromane der Szene abgeliefert (Snow Crash, Diamond Age, Zodiac,..). Es folgten historische Romane (seine geniale Barock-Trilogie, Cryptonomicon, klassische Sci-Fi (Anathema), Thriller (Error) und Kooperationen mit anderen Autor:innen (der Zeitreise-Roman D.O.D.O, die Mongoliade,..).
Mit Termination Shock nimmt er sich den Folgen des Klimawandels an -in naher Zukunft spielend beschreibt Stephenson eine Welt, die die Folgen der Erderwärmung anhand von Superstürmen, dem Steigen des Meeresspiegels, gnadenloser Hitzewellen und Überschwemmungen ausgesetzt ist.
Ein amerikanischer Milliardär versammelt deshalb eine Gruppe reicher Influencer (darunter uralter venezianischer Adel oder die niederländische Königin), um ihnen seinen Plan zur Rettung der Welt zu präsentieren: das Bombardieren der Atmosphäre mit Schwefel, um so künstlich die Effekte eines Vulkanausbruchs zu simulieren, um dadurch die Atmosphäre wieder abzukühlen. Womit der Milliardär allerdings nicht rechnet ist, dass beim Eingriff in die Welt gewichtige Partner ein Wörtchen mitreden möchten- darunter u.a. die Regierungen Chinas und Indiens. "Termination shock" ist ein typischer Stephenson: eine Unmenge an Informationen werden locker-elegant eingebaut, Nebenhandlungen, Nebencharaktere und ihre Geschichte werden genial in die Haupthandlung verwoben. Sein Schreibstil (bzw. die Übersetzung) ist wie immer lapidar und voll trockenem Humor. Termination shock ist ein klassischer "page turner". bei dem der Leser/die Leserin so nebenher auf den jüngsten Stand der Klimaforschung und der Meteorologie gebracht wird, aber auch über Sikhs, den indisch-chinesischen Konflikt im Himalaya, (holländische) Dammbauten, Wildschweine und Adler als Drohnenabwehr erfährt - und das waren nur ein paar Beispiele. Ein großartiges Buch - und trotzt aller Unterhaltung eine Mahnung und Warnung.
Justin MAROZZI, Islamische Imperien (Insel 2020)
Eine großartige Reise durch die Zeit
15 Jahrhunderte in 15 Städten durchschreiten und dabei die Geschichte des Islam und ihre Verzweigungen und Verwinkelungen kennen lernen. Das ist die große Vorgabe, die sich Justin Marozzi gestellt hat - und die er souverän umsetzt. Er stellt 15 für den Islam (und die restliche Welt) wichtige Städte vor, wobei die Stadtvorstellung in ein bestimmtes Jahrhundert eingebettet ist. Und so beginnt die Reise im 7. Jahrhundert in Mekka und endet in Katar im 21. Jahrhundert. Dazwischen erwarten den/die Leser*in Damaskus, Bagdad, Jeurasalem, Cordoba, das atemberaubende Samarkand, Isfahan, Istanbul, aber auch Beirut, Tripolis oder Kaibul. Marozzis Buch zu lesen lässt den alten Orient auferstehen, er zeigt aber auch all den Furor und die Grausamkeiten der vergangenen 15. Jahrhunderte auf. Als Leser*in hat man also manchmal den Rosenduft der blühenden Gärten islamischer Landschaftsarchitektur in der Nase, manchmal aber auch den metallischen Geruch geronnenes menschlichen Blutes. Eine großartige (Nach-)Erzählung über legendäre Städte und über die Geschichte Europas, Zentralasiens und Nordafrikas.

David ABULAFIA, Das Mittelmeer; eine Biographie (S. Fischer, 2013)

Eine großartige Geschichte von so viel "meer/mehr"
Wem Ferdinand Braudels Gedanken über die Welt des Mittelmeeres gefallen haben, der wird mit David Abulafias "Das Mittelmeer" seine helle Freude haben. Der englische Historiker ist Professor für die Geschichte des Mittelmeerraumes an der Universität Cambridge und Fellow am Gonville and Caius College und an der British Academy.
In seiner "Biographie" des Mittelmeers lotst Abulafia seine Leser*innen souverän, sicher und elegant durch die Geschichte der (erweiterten) Mittelmeerregion von den ersten Hochkulturen bis herauf in die Gegenwart. Diese "Tour de force" durch die Geschichte ist dabei genussvoll zu lesen - Abulafia sucht den "roten Faden" in der Geschichte, sucht nach Entwicklungen, verzichtet auf eine zu detaillierte trockene Ereignisgeschichte zugunsten der "breiten Bögen". Die elegante Übersetzung macht das ganze Werk angenehm zu lesen. Ein wunderschönes Buch, das den/die Leser*in tief in die Geschichte des "mare nostrum" eintauchen lässt.
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