Als ich einen Gletscher zu Grabe trug oder die Kunst der Verdrängung

Veröffentlicht am 2. Juli 2024 um 10:58

5. September 2023, Kaiser-Franz-Josefs-Höhe,  Besucherzentrum: Würdevoll setzt sich der Trauermarsch in Bewegung, allen voran eine evangelische Pastorin und ein katholischer Priester (ein sehr hochrangiger sogar, ein Dompropst und Bischofsvikar). Das Bläserquartett spielt einen getragenen Trauermarsch, hinter der Geistlichkeit kommt der Sarg mit dem zu Grabe zu tragenden, dahinter die Trauergäste- doch etwas ist dieses Mal anders. Denn im Sarg liegt kein Toter, keine Verstorbene - und der Sarg ist kein edles Holz, sondern aus Eis. An jenem Bilderbuch-Spätsommertag zu Fuße des Großglockners, oberhalb des Pasterze-Gletschers wird ein Eissarg getragen - und er wird nicht bestattet, sondern beim Parkplatz des Glockner-Besucherzentrums zur Schau gestellt - man konnte ihm in den nächsten Tagen beim Schmelzen zuschauen. Ich war einer der Sargträger (es waren auch Sargträgerinnen dabei) und das ganze war Teil einer Aktion der Umweltschutzorganisation "Protect our winters" Österreich. Die Idee dahinter war, auf die Folgen des Klimawandels im Alpenraum aufmerksam zu machen - der Gletscherschwund ist eines der sichtbarsten Zeichen dieser globalen Krise, in wenigen Jahren wird die Zunge der Pasterze abbrechen und dieser majestätische Gletscher nicht mehr der längste Österreichs sein.  Die Initiatoren setzten neben dem Aktivismus auch auf Fakten und Information, wie dem Nachbericht auf der Homepage der Diözese Gurk zu entnehmen war: "Nach der symbolischen Beisetzung des Eis-Sargs, den der Heiligenbluter Bildhauer Max Seibald gefertigt hat, stellten Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Bereichen die sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen des Klimawandels in den Mittelpunkt von Kurzvorträgen.
Organisiert wurde die Veranstaltung von „Protect Our Winters Austria“ in Zusammenarbeit mit dem Referat für Schöpfungsverantwortung der Diözese Gurk, der evangelischen Kirche Kärnten/Osttirol und der KEM Region Mölltal".

Mein Einsatz als "Sargträger" beim "Gletscherbegräbnis" (Foto: R. Lechner)

Das Medienecho war enorm, TV Teams und Zeitungen aus dem gesamten deutschen Sprachraum berichteten - schließlich ist die Pasterze nicht irgendein Gletscher, sie ist wohl Teil der österreichischen (alpinen) Identität. Die Reaktion aus dem Mölltal als betroffener Region und die zahlreicher "Katholik:innen" war da schon eine etwas andere, um es euphemistisch auszudrücken - man könnte auch von einem weihwasserbefeuchteten Shitstorm sprechen. "Frevel, Gotteslästerung, Entweihung christlicher Traditionen" waren nur einige der noch höflicheren Reaktionen.  Der - erzählte - größte unglaubliche Irrsinn soll aber die Feststellung gewesen sein, dass - nachdem wenige Tage nach der Aktion eine junge Bergsteigerin aus dem Mölltal am Fuscherkarkopf (einem Gipfel der Glocknergruppe) bei einem Absturz ums Leben kam- der Berg sich für den "Frevel des Begräbnisses" gerächt hätte. Was für ein Glaubensbild/Weltbild steht hinter so einer Wahnsinnsbehauptung? 

Die Aktion am Glockner hat eines ganz klar gezeigt- wie Verdrängung funktioniert und welche archaischen Glaubensvorstellungen noch in den Köpfen so mancher Katholik:innen herumgeistern. Diejenigen, die erboste Briefe an den Bischof schrieben und in der (lokalen) Öffentlichkeit über die Ketzer:innen und Frevler:innen wetterten, haben  die Kunst der Verdrängung zur Meisterschaft erhoben - lieber nicht den brutalen Tatsachen des rapiden Klimawandelns ins Auge schauen, dafür aber frömmlerisch heuchelnd eine Aktion "aus Glaubensgründen"  kritisieren - natürlich ohne selbst vor Ort gewesen zu sein.  Es ging beim "Gletscherbegräbnis" nicht darum, ein "Requiem" zu zelebrieren (es wurde keine Totenliturgie zelebriert,  kein Totengebet gelesen), es ging schlichtweg darum, auf die Folgen der Klimakrise aufmerksam zu machen, die unseren Kindern und Enkelkindern die Zukunft raubt. „Umweltschutz ist eine konkrete Form der Nächstenliebe. Deswegen ist es auch Anliegen und wesentliche Aufgabe der christlichen Kirchen, dies immer wieder und auf vielfältige Weise ins öffentliche Bewusstsein zu heben. (...) Das Verschwinden des Gletschers sei nicht nur ein großer Verlust für die Gegenwart, sondern vor allem auch eine schmerzliche Minderung der Lebensqualität der zukünftigen Generationen. Es benötige daher „eine neue gesellschaftliche Debatte darüber, welchen Lebensstil wir in Zukunft brauchen und wollen“. Dies beginne mit der Frage nach einer ganzheitlichen Ökologie im Sinne der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus, die Umwelt- mit Wirtschafts- und Sozialfragen verbindet, und setze sich fort auf gesellschaftspolitischer Ebene, indem das Leben und die Lebensqualität der nächsten Generation bewusst im Auge behalten werde", so der katholische Vertreter, Dompropst Engelbert Guggenberger in seiner Rede am Glockner (BERICHT HIER).

Ich habe die Pasterze zum ersten Mal Anfang der 80er mit meinen Eltern besucht- damals konnte man mit der Gletscherbahn bis zum Gletscher fahren.  2016 war ich das zweite Mal oben auf dem Weg zum Fuscherkarkopf - der Gletscher war hunderte Meter zurück gewichen. 2019 kamen wir als Familie - und wieder war der Gletscher erschreckend kürzer (und dünner) geworden, der Weg von der Ausstiegsstelle der Gletscherbahn zum Eis war bereits eine kleine Wanderung. Die Pasterze (und mit ihr fast alle anderen österreichischen Gletscher) verschwindet. Einen symbolischen Sarg aus Eis als Mahnung zu "Grabe zu tragen" war kein Akt religiöser Provokation, sondern ein Zeichen des Respekts, der Sorge und der Angst um die Natur und die Zukunft der (eigenen) Kinder. 

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