Vollendete Unvollendung - mein "Senf" zu Bruckner

Veröffentlicht am 9. September 2024 um 21:23

Der 200. Geburtstag von Anton Bruckner ist Anlass genug, in sein Werk wieder einzutauchen, neue Biographien über ihn zu schreiben, alle seine Symphonien (also auch die "Studiensínfonie" und die "Nullte") aufzuführen  - und natürlich für mich, auch meinen Senf dazu zu geben. Wenn das ein absoluter Laie wie ich macht,  ist das in etwa so nötig wie ein Stein am Kopf, aber dennoch, voilà:

Das "Würstel" - um im Bild zu bleiben - zu dem ich meinen Senf beisteuere, ist Bruckners letzte Symphonie mit der Nummer 9, von ihm angeblich "dem lieben Gott" gewidmet. Bruckner zeigt hier eine gewisse Widmungshierarchie - so widmete er die dritte seinem Idol Wagner, die achte dem Kaiser (Franz Joseph) und die letzte eben dem Absoluten. Dieses Werk konnte von ihm, psychisch und physisch schwer angeschlagen, nicht mehr vollendet werden.

Zwar hatte er den vierten und letzten Satz durchkomponiert, aber nicht mehr durchorchestriert (eine Rekonstruktion des vierten Satzes ist u.a. von Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern eingespielt worden). Dieser vierte Satz wäre eine Klangkathedrale geworden, aufgebaut auf Motive seiner Symphonien 5 bis 8. So aber endet die neunte Symphonie (wenn nicht, wie von Bruckner selbst einmal vorgeschlagen, sein "Te Deum" als vierter Satz gespielt wird) mit dem langsamen dritten Satz, einem typischen Bruckner-Adagio.

Und wie diese Symphonie endet - nicht tosend, nicht gigantisch, nicht glorios. Ganz im Gegenteil - sie verweht, leise, in sich gekehrt, so wie der Mensch Bruckner vielleicht selbst sein Leben ausgehaucht hat. Die letzten Takte klingen wie sich die Seele auf den Weg zu Gott macht, wie der Körper sanft entschläft und sie freigibt für ihren Weg nach oben, zum reinen Licht. Während die Streicher ruhig einen wellengleichen Untergrund legen spielen die Wagnertuben (Hörner) in den letzten Takten ganz zart einen Aufwärtsakkord und enden am höchsten Ton, einem Fis. Irgendwie wirkt es für mich, als ob der "liebe Gott", dem Bruckner dieses Werk gewidmet hat, dem guten Anton einen liebevollen Strich durch die Rechnung gemacht hat, so in der Art: mich kannst Du nicht mit Tosen, Triumph und Fortissimo beschreiben, ich bin  "Der Ich bin da- in den leisen Tönen". Bruckners neunte ist unvollendet - und dadurch so vollendet und so unsagbar schön. Nachfolgend der Beweis in zweifacher Ausführung:

Hier die Wiener Philharmoniker unter Leonard Bernstein mit den letzten auskomponierten Takten des Meisters:

https://youtu.be/swULVZ5zLkM?t=3971

Und hier nochmals die Wiener Philharmoniker zum Vergleich mit Herbert von Karajan

https://youtu.be/uhexp5ag1RE?t=3356

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