Wenn es so etwas wie musikalische Lebensbegleiter gibt, dann ist dies in meinem Fall David Gilmour. Der Gitarrist und später Leiter von Pink Floyd hat nun Anfang September ein neues Album herausgebracht - sein fünftes, die Livealben nicht mitgezählt, Soloalbum (nach David Gilmour, Faces , On an island und Rattle that lock). "Luck and strange" heißt das Teil, das er im zarten Alter von 78 Jahren vorlegt. Und da sind wir schon beim eingangs erwähnten Thema - wenn ein 52jähriger sich über das neue Album eines 78jährigen wie ein kleines Kind freut, ist das mehr als die geriatrische Variante von Fangirlietum - das ist eine (einseitige) Beziehung, die schon seit Jahrzehnten anhält. Spannend dabei ist, so wird mir klar, wie sich diese Beziehung zu Gilmour/Pink Floyd gewandelt hat.
Die Einstiegsdroge war das legendäre Album "Dark side of the moon". 1973 erschienen fiel es mir als Student (habe Geschichte und - leider auch Theologie studiert, mit durchaus heißem Bemühn) in den 90ern auf den Plattenteller: hingehört, die Texte aufmerksam gelesen - und schon griff die "Progressive-Rock-Droge" - Abhängigkeit beim ersten Mal. Der studierende stramme Max der 90er hörte Floyd aber vor allem wegen der Texte, wegen der Kapitalismuskritik, der Kritik am (amerikanischen und thatcherianischen) Imperialismus und Postkolonialismus. Eine Gauloises rauchend und ein Heineken (roter Stern am Etikett) gehörte quasi zum Hören dazu und man fühlte sich gleich wie ein Revolutionär und Befreier der Geknechteten. Und wahrlich, man war nicht allein: "Run, rabbit run - dig that hole,hide from the sun. And when at last the work is done - don't sit down, it's time to dig another one" - Textzeilen wie diese konnten in Grazer Studentenkneipen wie der "Posaune", dem "Brot und Spiele" oder dem "Skarabäus" beim Pinkeln angeteastert werden und wurden vom unbekannten Pissoirnachbarn ohne Zeitverzögerung ergänzt und weitergeführt. Pink Floyd live in Wiener Neustadt (PULSE-Tour) war eine Ehrensache und bis zum heutigen Tag das beste Live-Konzert, das ich erleben durfte.
Mit dem Alter änderte sich dann die Liebe zu Floyd - war es als Student die "Message", die "Ideologie", wurden in der Zeit der "Sesshaftwerdung" die frühesten Alben aus der Psychodelic-Phase der Band in den späten 60ern spannend. Die Gauloises war zwar noch immer im Mundwinkel, das proletarische Flaschenbier wurde nun allerdings gerne gegen ein Glas Rosso di Montalcino oder gar ein Glas Brunello getauscht - man wurde zwar intellektuell (glaubte man), aber leider auch etwas bourgeois. Mit Geburt der Kids und dem offiziellen Ende der eigenen Pubertät (inoffiziell dauert sie noch immer an) wurden wieder die späteren Progressive-Rock-Alben wichtiger- nun trat aber die Musik und nicht mehr der Text in den Vordergrund. Floyd wurde zur Weltflucht, die exquisiten Kopfhörer garantierten Rückzug (und ein Ausblenden von Kindergeschrei).
Jetzt höre ich Floyd und David Gilmour manchmal mit Moods und einem Glas Single Malt, aber stets mit beginnender Verklärung (ein Zeichen des Alters), d.h beim Hören der Musik tauchen automatisch Bilder aus der Erinnerung auf. "Whish you were here" wird nicht nur als Song gehört, sondern kommt als experimentelles Koofkino mit Erinnerungsschnitzeln. Bei "comfortably numb" bin ich wieder am Flugfeld in Wiener Neustadt und schier überwältigt von der unglaublichen Lichtshow , bei "Time" stelle ich jedes mal fest, dass ich (schon fast oder doch schon) in dem Alter bin, das in dem Lied beschrieben wird ,bei "coming back to life" taucht ein Gesicht aus der Vergangenheit auf und bei "high hopes" gleich mehrere. Pink Floyd und David Gilmour haben mich einen Großteil meines Lebens begleitet - ob ich mit ihnen/durch sie oder dank ihnen in Würde (?) gealtert bin, weiß ich nicht. Eines ist aber klar - es tut gut, musikalische Lebensbegleiter zu haben. Wie sehr wünsche ich meinen Jungs, dass auch sie solche entdecken...

Oben: das neue Objekt der Begierde- Gilmours neues Soloalbum "Luck and strange". Unten: Die "Einstiegsdroge" in die Welt according to Waters, Gilmour, Mason and Wright - Cover von "The dark side of the moon", 1973 erschienen und das erfolgreichste Album von Pink Floyd (es hielt sich unglaubliche 20 Jahre in den amerikanischen Albumcharts)

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